Peanut Butter! Harvard! Apple Pie! Allen Unkenrufen zum Trotz schauen die USA auf einen Fundus an Werten zurück, nach denen sich andere Nationen die Finger lecken würden.
In unserer USA-Reihe gehen wir eben diesen American Values auf den Grund. Jede Woche nehmen wir einen US-Staat unter die Lupe und beleuchten seine Besonderheiten. Vergangene Woche waren wir in den luftigen Höhen Colorados unterwegs. Diesmal reisen wir in eine Region, die – im wahrsten Sinne des Wortes – als einer der wichtigsten Wirtschaftsmotoren der USA gilt. Und das trotz vieler Probleme.
Das Automobil war und ist für die Wirtschaft Michigans ganz entscheidend
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Ein wenig Startkapital und ganz viel Mut
Mut zur Innovation, Kreativität und eine gesunde Portion Neugier. Mit dieser Mischung schickte sich der junge Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts an, sein eigenes Automobilunternehmen zu gründen. Mit knapp 28.000 US-Dollar Startkapital, wozu elf Investoren einen Großteil beisteuerten, sollte der damals 39-Jährige ein Unternehmen aus der Taufe heben, das dem noch jungen Automobil zum Durchbruch verhalf. Ein Auto zu besitzen und zu fahren, war immer noch vergleichsweise teuer. Aber es war dank Ford bei Weitem nicht mehr der unerreichbare und unbezahlbare Traum, den er für einen Normalverdiener bis dahin darstellte.
Henry Ford, geboren 1863 in Michigans Kleinstadt Greenfield Township, zog es als technikbegeisterten 17-Jährigen in die nahe gelegene Metropole Detroit. Dort verdingte er sich in verschiedenen Unternehmen als Maschinist. Seine Arbeitgeber erkannten und honorierten seinen ausgesprochenen Scharfsinn, insbesondere seine Vorgesetzten bei der Edison Illuminating Company. Dort trat er 1891 eine Stelle als Ingenieur an. Schon zwei Jahre später bekleidete er den Posten des Chefingenieurs. Hier besaß er den Freiraum, und auch die finanziellen Mittel, um intensiv an der Konstruktion und Verbesserung von Verbrennungsmotoren zu forschen.
In der pulsierenden Großstadt Detroit tüftelte Henry Ford am perfekten Motor
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„Das spar‘ ich mir zusammen!“
1908, fünf Jahre nach Gründung seiner Ford Motor Company und viel technischem Kopfzerbrechen, kam es auf den Markt: Das heute sagenumwobene Ford Modell T. Liebevoll auch Tin Lizzie (zu Deutsch etwa „Blechliesel“) genannt, mauserte sich das Modell T zum Inbegriff des erschwinglichen Automobils.
Und zwar insbesondere seit 1914. Im Januar dieses Jahres stellte man die Produktion des Autos nämlich auf eine industrielle Methode um, bei der automatisch angetriebene Fließbänder zum Einsatz kamen. Dadurch reduzierte sich der Verkaufspreis des Modell T schlagartig von 850 auf 370 US-Dollar. Zur besseren Einschätzung: Die 370 US-Dollar von 1914 entsprechen nach heutiger Kaufkraft 9170 US-Dollar bzw. 8200 Euro. Wie schon erwähnt: Immer noch ein üppiger Betrag. Aber eben einer, zu dem selbst Average Joe sagen konnte: „Das spar‘ ich mir zusammen!“
Ein bezahlbares Auto für den „Average Joe“ – das war Henry Fords Vision
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Nike und Hipster-Cafés: Neues wirtschaftliches Blut in Michigan
Nicht nur dank Henry Ford entwickelte sich Michigan Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem bedeutsamen wirtschaftlichen Motor der USA. In und um Detroit gründeten sich damals jene Automobilhersteller, die heute als die Big Three bekannt sind: General Motors (1908), Chrysler (1925) und eben Ford. Auch wenn die Automobilbranche und damit auch der Staat Michigan mittlerweile mit erheblichen Problemen zu kämpfen hat, ist die Bedeutung des Staates für die Wirtschaftsleistung der USA immer noch beträchtlich. Und das auch dank eines überraschenden Umschwungs.
„Pioniergeist 2.0“: Henry wäre stolz
In leerstehenden Industriehallen, wo einst Automobilhersteller wie Packard ihre Luxusschlitten produzierten, siedeln sich heute ganz andere Firmen an. Zum Beispiel die Sportmode-Firmen Nike und Under Armour. Auch Unternehmen aus der Finanz- und der IT-Branche, zum Beispiel Quicken Loans und Microsoft, haben in Detroit Zweigniederlassungen errichtet. Zusammen mit Shops kleiner Modelabel wie zum Beispiel Moosejaw, Hipster-Cafés, frisch renovierten Wohnungen und Hotels blüht Michigans Wirtschaft wieder auf.
Es ist fast so, als wehe eine Art „Pioniergeist 2.0“ durch den Staat, auf welchen Henry Ford äußerst stolz wäre. Nicht zuletzt, weil sich dadurch auch das soziale Bild und Image der Stadt Detroit wandelt, und zwar äußerst positiv. Trostlose und verruchte Ecken, in die viele Menschen jahrelang keinen Fuß setzten, erfahren eine regelrechte Auferstehung. Man ist mit dem Fahrrad unterwegs, die Umgebung ist sicherer, lebendiger, ja, fast schon familiär. Es spricht Bände, wenn der Leiter eines örtlichen Sportclubs sagt: „Kinderwagen in der Innenstadt! Das gab es früher nie!“
Es weht ein ganz neuer Geist durch Detroit
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Ein echtes „Water Wonderland“
Seine Spitznamen Great Lakes State und Water Wonderland trägt Michigan zurecht. Der Staat grenzt an vier der fünf Großen Seen. Und zwar den Eriesee, den Oberen See, den Huronsee und den Michigansee. Kein US-Staat verfügt über eine längere Süßwasserküste. Durch diese besondere Lage, schließlich ist Michigan von jede Menge Wasser „umrahmt“, verfügt der Staat auch über ein besonderes Klima. Sein kontinentales Klima ist feucht und mild. Der Norden und Süden Michigans sind jedoch gesondert zu betrachten.
Im Norden sind die Winter äußerst kalt und auch sehr schneereich, während die Sommer mild ausfallen. Der kleine Ort Sault Ste. Marie, im äußersten Norden des Staates und damit nahe der kanadischen Grenze gelegen, verfügt beispielsweise über eine jährliche Durchschnittstemperatur von etwa 4,1 Grad Celsius. Im Süden ist es hingegen deutlich wärmer. Die Hauptstadt Detroit verfügt über eine jährliche Durchschnittstemperatur von 10,0 Grad Celsius. Dort ist es durchschnittlich also mehr als doppelt so warm wie in Sault Ste. Marie.
Nicht zu Unrecht ist Michigan auch als „Water Wonderland“ bekannt
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Amerikas Früchtekorb
Diese Unterschiede spiegeln sich auch in der Landwirtschaft Michigans wider. Der Boden im oberen Michigan ging aus Ablagerungen von Gletschern hervor. Dadurch ist er säuerlich und wenig fruchtbar. In Verbund mit den niedrigen Temperaturen ist die Landwirtschaft hier von verschwindend geringer Bedeutung. Im unteren Michigan sieht dies jedoch ganz anders aus. Hier sind die Böden vielerorts sehr fruchtbar und bieten beste Voraussetzungen für den Anbau von Mais, Sojabohnen, Äpfeln, Blaubeeren und Kirschen. Da auch Weizen und Gerste in Michigans Klima hervorragende Bedingungen vorfinden, haben sich im Staat zahlreiche Brauereien angesiedelt. Die Stadt Grand Rapids wurde in der jüngeren Vergangenheit gar zweimal zur Beer City USA gewählt.
Auch die Zucht von Rindern hat eine enorme Bedeutung, sodass Michigan als emsiger Produzent von Fleisch und Milchprodukten gilt. Wer unsere USA-Reihe schon länger verfolgt, wird es bereits gemerkt haben: Viele (land)wirtschaftliche Eigenschaften, die auf Michigan zutreffen, gelten auch für Wisconsin. Aus diesem Grunde überrascht es nicht, dass sich Michigan mit eben jenem Staat eine Grenze teilt. Darüber hinaus grenzt Michigan im Süden an Ohio und Indiana. Zumindest über das Wasser teilt es sich auch jeweils eine Grenze mit Illinois sowie mit Minnesota.
Unter anderem Kirschen zählen zu Michigans Exportschlagern
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Michigan im Kurzportrait
Abschließend hier noch ein paar wissenswerte Fakten zu Michigan:
Einwohnerzahl: ca. 9,9 Millionen
Fläche: ca. 250.400 Quadratkilometer (elftgrößter Staat der USA)
Hauptstadt: Lansing (ca. 116.000 Einwohner)
Höchster Punkt: Mount Avon (603 Meter)
Staatsmotto: Si quaeris peninsulam amoenam circumspice
Spitznamen: Great Lakes State, Wolverine State, Mitten State, Water Wonderland
US-Staat seit: 26. Januar 1837
Ein Großteil solcher „Amischlitten“ stammt aus Industriehallen in Michigan
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Funfacts über Michigan: Hättet ihr’s gewusst?
Michigan ist der einzige US-Staat, dessen Festland zweigeteilt ist. Michigan besteht, einfach ausgedrückt, aus zwei Halbinseln, die großzügig von Wasser umgeben sind. Das obere Michigan liegt zwischen Michigansee und Oberem See. Das untere Michigan liegt zwischen Michigansee und Huronsee. Es ist dem oberen Michigan nicht nur flächenmäßig überlegen. Hinzu kommt nämlich noch der Umstand, dass es im Norden des Staates viel Waldfläche, aber kaum größere Städte gibt. Daher lebt ein Großteil der Einwohner auf der südlichen Halbinsel.
Michigan rules! Eine besondere Beziehung zum Staat besitzt der US-Schauspieler Tim Allen. Und das, obgleich er gar nicht im Staat geboren ist, sondern in Denver, Colorado. In der Sitcom Hör mal, wer da hämmert (Home Improvement, 1991 bis 1999), durch die er dem deutschen Fernsehpublikum endgültig bekannt wurde, spielte er den Familienvater Tim Taylor. Die Serie spielt in Detroit, was Allen in seiner Rolle häufig betonte, indem er Kleidungsstücke trug, auf denen Schriftzüge wie „Michigan State“, „Saginaw Valley“ oder „Michigan Football“ zu sehen waren. Good to know: In seiner aktuellen Rolle in der Sitcom Last Man Standing (seit 2011) spielt er ebenfalls einen Familienvater – diesmal wohnt die Serienfamilie jedoch in Denver, Colorado, also seiner tatsächlichen Heimatstadt.
Up & Down & Up Again: Wie schon erwähnt, florierte Michigans Wirtschaft lange Zeit enorm, bevor der Staat durch die kriselnde Automobilindustrie an Strahlkraft einbüßte. Dies kulminierte darin, dass 2013 die Stadt Detroit tatsächlich Insolvenz anmelden musste. Dadurch verließen nicht nur viele Unternehmen die Stadt – viele Menschen zogen weg, Häuser verfielen, Stadtteile verwahrlosten. Doch, wie ebenfalls schon weiter oben erwähnt, geht es in Michigan und Detroit in jüngster Vergangenheit wieder bergauf. Und zwar so sehr, dass Lonely Planet, einer der weltweit führenden Verlage für Reiseführer, Detroit in seiner Liste Best in Travel 2018 – Top 10 Städte auf Platz zwei setzte.