Der September nähert sich und mit ihm ein neues Kapitel im Leben eines jeden Schülers. Doch was jetzt? Beruf, Studium oder vielleicht eine Ausbildung mit Schulabschluss? In einer Zeit, in der akuter Fachkräftemangel herrscht, wird in vielen Branchen händeringend nach Azubis gesucht. Dementsprechend sollten doch die Angebote, Konditionen und Vergütungen unglaublich attraktiv ausfallen, um frisches Blut in die Venen der Betriebe zu pumpen, oder? Heute erzähle ich euch meine persönlichen Erfahrungen mit der Ausbildung mit Schulabschluss.
Macht euch darauf gefasst, dass ihr nicht wisst, ob ihr lachen oder weinen solltet.
Jung und Naiv – Der Beginn meiner Ausbildung mit Schulabschluss
Wer mich persönlich kennt oder meinen Artikel zur Digitalisierung in Deutschland gelesen hat, der weiß, dass ich vor meiner Zeit hier eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung gemacht habe. Ich schreibe dabei explizit „gemacht“ und nicht „abgeschlossen“, da ich nur die schriftliche Abschlussprüfung bestanden habe. Die mündliche Abschlussprüfung habe ich auch beim zweiten Versuch nicht bestanden und somit zählt die Ausbildung als abgebrochen.
Unabhängig davon, ob ich sie bestanden hätte oder nicht, nutze ich daher heute die Gelegenheit um mit der Ausbildung mit Schulabschluss abzurechnen. Doch fangen wir mal ganz von vorne an.
Während meines Bundesfreiwilligendienstes habe ich mir viele Gedanken gemacht, was ich danach machen wollte. Da ich eine große Leidenschaft für Videospiele habe, wollte ich Game-Designer werden. Dies war in meiner Situation nur auf zwei Wegen möglich: ein Studium oder auf Umweg über die Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung. Nachdem ich die Aufnahmeprüfung für das Studium nicht geschafft habe, wurde es eben die Ausbildung. „Da werden Fachkräfte dringend gesucht“, haben sie gesagt. „Du wirst schnell was finden und mit guter Bezahlung“, haben sie gesagt.
Hehehe…Guter Witz. Genau wie die Stellenanzeigen. Davon gab es zahlreiche und die meisten von ihnen waren Rosinenpickerei vom feinsten. Nichtsdestotrotz hab ich 20 Bewerbungen versendet. Auf 5 bekam ich überhaupt eine Rückmeldung und nur von 2 wurde ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Letztendlich wollte mich dann nur eine Firma als Azubi einstellen. Den anderen hatte ich zu wenig Erfahrung mit Programmieren. Hä?! Finde den Fehler.
Voller Freude habe ich dann den Ausbildungsvertrag unterschrieben. 3 Jahre Ausbildung, 650€ Brutto im 1. Lehrjahr mit 50€ Gehaltserhöhung pro weiteres Lehrjahr. Doppelt so viel, wie ich in meinem Bundesfreiwilligendienst verdient habe. Klang also für mich nach einem guten Azubi-Gehalt.
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Die Freude ist groß, wenn man eine Antwort auf seine Bewerbungen bekommt. Lasst euch nur nicht davon Täuschen!
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Das Ende der Illusion einer guten Ausbildung mit Schulabschluss
Selbstverständlich war am Anfang noch alles mehr oder weniger Friede, Freude, Eierkuchen. Die Angestellten waren hilfsbereit und freundlich, ich durfte am Frontend einer App programmieren und die Berufsschulwochen waren sehr lehrreich. Doch die Fassade bröckelte recht schnell. In der Berufsschule durfte ich feststellen, dass meine ganzen Mitschüler mindestens 100€ mehr im 1. und teilweise sogar im 2. und 3. Lehrjahr über 1000€ Brutto verdienen würden. „Okay, halb so wild“, hab ich mir gedacht, „Viel wichtiger als das Geld ist das, was ich beigebracht bekomme.“
Tjaa…nach ungefähr einem Monat wechselte mein Aufgabengebiet von „Programmieren“ zu „Rechnungen und Angebote für Kunden erstellen, Internetverträge mit Telekom, Vodafone und Co. ausfechten, Lizenzen und Zertifikate erneuern, IT-Support für Kunden leisten und Strafzettel an Falschparker auf unserem Firmenparkplatz ausstellen“. Alles nicht so wirklich Aufgaben aus dem Bereich der Anwendungsentwicklung. Programmieren konnte mir dann nur noch die Berufsschule beibringen.
Die anderen 4 Arbeitskollegen (= zwei Azubis, ein externer Mitarbeiter, eine Sekretärin und ein Fachinformatiker für Systemintegration) konnten mir da nicht helfen, da nicht ihr Aufgabenbereich. Der Chef war meistens nur einmal pro Woche anwesend und als einziger im Betrieb befugt mich auszubilden.
Dementsprechend fielen meine Leistungen in der Berufsschule nur mittelmäßig aus, da ich mir alles selbst erarbeiten musste und erlerntes nicht in die Praxis umsetzen konnte.
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Tiktok! In der Ausbildung mit Schulabschluss achtet niemand auf die gesetzliche Arbeitszeit.
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Die Highlights meiner Ausbildung
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, das habe ich mir ständig eingeredet, während ich brav die Aufgaben vom Chef erledigt habe. „Schlimmer geht immer“. Oh jaaaa und wie! Das erste Lehrjahr hinter mir, durfte ich im zweiten Lehrjahr mit 50€ Gehaltserhöhung den Winter damit verbringen mit dem neuen Azubi den privaten Sperrmüll vom Chef aus den drei Kellerräumen im Büro zum Wertstoffhof oder der Deponie zu transportieren. Besonders toll war es sich die Porno-Titel auf den VHS-Kassetten durchzulesen, bevor man sie gegen die Innenwand des Containers donnert. Wir durften uns dann vom Chef und dem Festangestellten anhören, dass wir die Kundenaufgaben vernachlässigen würden.
Grundsätzlich hatte ich oft die Ehre Privaterledigungen für meinen Chef machen zu dürfen.
Nennt mich „Jäger der verlorenen Rechnungen“, denn auch wenn die Buchhaltung in das Aufgabengebiet der Sekretärin fiel, so durfte ich Personen auf Ebay und Amazon regelmäßig anschreiben und darum bitten uns Rechnungen zuzusenden für Käufe, die schon mal eben ein halbes Jahr her waren. Und wenn ich nicht gerade auf Ebay irgendwelche armen Leute wegen der Buchhaltung belästigen musste, so durfte ich in den Kleinanzeigen regelmäßig irgendwelche Autoreifen verkaufen.
Mein persönliches Highlight jedoch waren die Arbeitszeiten: Innerhalb meiner drei Jahre Ausbildung habe ich so viele Überstunden aufgebaut, dass ich fast jeden Tag eine Stunde früher Heim gehen konnte und trotzdem noch ungefähr 315 Überstunden auf meinem Konto hatte an meinem letzten Arbeitstag. Diese durfte man sich jedoch weder Auszahlen lassen noch durfte man mehr als 3 Überstunden pro Tag abbauen. Eine Woche Urlaub auf Kosten von Überstunden war also nicht möglich. Ihr wundert euch bestimmt wie ich das geschafft habe so viele Überstunden aufzubauen.
Da unsere Geschäftszeiten bis 18 Uhr gehen, musste das Büro jeden Tag bis 18 Uhr telefonisch für Notfälle erreichbar sein. Dementsprechend durfte jeder Mitarbeiter an einem Tag in der Woche bis 18 Uhr in der Arbeit sitzen und auf Anrufe warten. Ich war für gewöhnlich bereits um 8 Uhr im Büro anwesend. Ein weiterer Faktor war die am Anfang erwähnte App. Obwohl ich nicht mehr an der Entwicklung beteiligt war, durfte ich an den wöchentlichen Meetings mit dem Chef, dem Kunden und den regelmäßig wechselnden Werksstudenten teilnehmen, welche meist um 18 Uhr begonnen haben und je nach Diskussionsbedarf bis 20 Uhr oder später gingen.
Wer sich ein bisschen mit dem Arbeitszeitgesetz auskennt, der merkt, dass das bereits rechtlich kritisch ist. Aber es kommt noch besser! Wir hatten im Frühjahr 2019 einen Großkundenauftrag in Frankfurt. Der Kunde wollte auf Cloudcomputing umsteigen. Dementsprechend mussten wir alles für die Umstellung vorbereiten und zahlreiche „Thin Clients“ (=Kleine Schrott-Computer mit der einzigen Aufgabe sich per Remote-Verbindung auf den Firmenserver zu verbinden um von dort aus Arbeiten zu können) einrichten. Die waren aber so langsam und schlecht, dass wir allein dafür schon täglich knapp 10 Stunden arbeiten durften.
Nachdem wir nun damit vier Tage beschäftigt waren, durften wir am fünften Tag mit den Geräten nach Frankfurt fahren und dort aufbauen. Nachdem die Hinfahrt allein schon vier Stunden gedauert hat, war uns allen klar, dass sämtliche Tätigkeiten in Frankfurt zu unseren Überstunden zählen würde und unser Freitag-Abend damit gelaufen war. Als wir alles erledigt haben und wieder in unserem Büro angekommen sind, war es bereits Samstag 4 Uhr morgens und wir mussten am Samstagnachmittag nochmal in das Büro kommen und den Server vom Kunden bei uns im Serverraum aufbauen.
Die Bilanz: 60 Stunden in fünf Tagen davon 20 am Stück. Puh… eine gute Ausbildung mit Schulabschluss sieht definitiv anders aus, aber durch solche Aktionen entstand der inoffizielle Slogan unseres Ausbildungsbetriebs „Das K steht für Qualität“
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Der einzige Grund, wieso ich den Betrieb der IHK nicht gemeldet habe, war damit die anderen Azubis dadurch nicht ihren Ausbildungsplatz verlieren.
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Das „Grande Finale“
Lange Arbeitszeiten, eine miese Bezahlung, ein geiziger Chef, nicht existente Ausbilder, ausbildungsfremde Aufgaben… es kam, wie es kommen musste. Die Prüfer haben mich gnadenlos ohne Berücksichtigung der Umstände aufgrund von mangelhaftem Fachwissen in der mündlichen Prüfung durchfallen lassen, nachdem sie zuvor noch den Nutzen meiner Projektarbeit kritisiert haben mit den Worten „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Drei Jahre Ausbildung mit Schulabschluss haben sich für mich in keinster Weise gelohnt und solltet ihr jemals in so einem Ausbildungsbetrieb landen, so habt mir mein herzlichstes Beileid. Zu Recht gibt es einen Fachkräftemangel bei solchen Betrieben.
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More...„Das Internet ist für uns alle Neuland.“ – Mit diesen Worten äußerte sich Angela Merkel 2013 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Barack Obama und machte sich somit zum Gespött der digitalen Welt Deutschlands. Nicht nur, weil das Internet zu dem Zeitpunkt bereits über 10 Jahre für die normale Bevölkerung zur Verfügung stand, sondern weil es […]
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